MikroNews: Was passiert, wenn klassisches Denken das Neue nicht miteinbezieht..
Techaktien erfuhren in Zeiten der Pandamie einen enormen Wertzuwachs. Dabei betonten die CEOs dieser Unternehmen, dass es sich bei dem pandemiebedingten Neugeschäft nicht um Einmaleffekte handelte, sondern um beschleunigte Veränderung. Dahinter steht die Aussage: Das Geschäft bleibt da und wir wachsen dann von erhöhter Basis aus weiter.
Bis zu einem gewissen Punkt mag das richtig sein, doch steht dem gegenüber auch eine angeschlagene Wirtschaft, die gerade vieles produziert, aber sicher kein Wachstum und noch weniger Investitionsfreude. In dem Sinne sind die beschleunigten Digitalisierungseffekte erstmal nur Einmaleffekte.
Abseits der offensichtlichen Problematik, gibt es aber auch Grenzen der Veränderung, an die wir gerade stoßen. Immer mehr Manager finden es schwierig, per Videochat durchzuregieren. Grundsätzliches Misstrauen über den Arbeitswillen der nicht mehr jederzeit sichtbaren Angestellten führt zu einem Bedarf an Tracking-Tools, der vor allem Widerwillen bei den Angestellten erzeugt.
Kurz gesagt: Da, wo die Arbeitswelt sich digitalisiert, wird gerade begonnen sie neu auszuhandeln. Mit einem sichtbaren Endzeitpunkt der Pandemie vor Augen (vulgo Impfstoffe), wird man in vielen Unternehmen dann den Kompromiss finden, das jetzt digitalisierte Arbeiten weitestgehend wieder ins Analoge zurückzuführen. Man weicht dem Streit und der Neudefinition des Arbeitens aus und überlässt die Weiterentwicklung dem Wandel der Zeit.
Mich interessiert dieser Vorgang vor allem als Bildnis. Denn mit der Schließung verschiedener Value Fonds, in den letzten Monaten, begann eine Art Nachlese der Verwerfungen seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007.
Value Investing ist seitdem mehr oder weniger aus der Mode gekommen. Meint, am Kapitalmarkt interessierte man sich weniger für ein Investieren, das sich an Bewertungen bemisst, die eng mit der Realwirtschaft verknüpft sind. Stattdessen floss das Geld in Wachstumsunternehmen, die meist Techunternehmen waren.
Viele Analysen, die sich mit dieser Thematik befassen, stellen dabei Techunternehmen (Wachstum) gegen Value Unternehmen (Marktbetreuung). Connaisseure streiten sich eher über die Art der Bewertung, die Schwierigkeiten der verschiedenen Bilanzierungsmethoden und Bewertungsansätze für beispielsweise gekaufte und selbstgegründete Marken.
Value Investing kann man als erste institutionalisierte Lösung eines grundsätzlichen Problems am Finanzmarkt betrachten: Wie bewertet man ein Investment?
Es war der endgültige Abschied von der reinen Spekulation und eine Entscheidung in einem langen Streit.
Bildquelle: hier; Gefunden via Sunday Reads
Inhaltliche Quelle: American securities; the causes influencing investment and speculation and the fluctuations in values, from 1872 to 1885 by Grosvenor, William Mason, 1835-1900
Je institutionalisierter und wichtiger die Finanzmärkte für die Gesellschaften wurden, desto stärker wurden sie eingebettet und reguliert. Was dazu führte, dass die Auswahl der Instrumente institutionalisiert werden musste. Das schaffte die Spekulation nicht ab, sie dominierte nur nicht mehr in der offensichtlichen Entscheidung.
Seit 2007 ist das Value Investing allerdings auf dem Rückzug. Die Rendite stimmte nicht mehr. Immer mehr Fonds wurden geschlossen und auch Warren Buffett ist nicht mehr der Investmentheld, der er mal war. Kurz gesagt: Anders wurde mehr Geld verdient.
Für mich steht an dieser Stelle die Frage im Raum, ob wir hier nicht einer Fehlannahme aufsitzen. Wir sehen dem Aufstieg der großen Techunternehmen seit dem Ende der 1990iger zu. Diese Unternehmen wurden von einer gewissen Angst geprägt: Der Markt verändert sich so schnell, dass sie nie wussten, welches die Trends von morgen sind. Kinder haben beispielsweise andere Bedürfnisse als Erwachsene, wer jazzt da welches Produkt hoch? Kurzvideos gibt es schon seit Ewigkeiten (siehe Vine), popularisiert wurden sie dann aber durch ein chinesisches Unternehmen (durch Bytedance mit Tiktok).
Aus dieser Angst heraus entstand ein Markt. Start-Ups wurden en Masse gegründet, entwarfen Technologie und Unternehmen. Die Großen der Branche kauften dann die Unternehmen auf, die groß genug wurden, deren Technologie wichtig war oder deren technisches Personal sie eingliedern wollten.
Es fand zumindest im Techbereich eine Institutionalisierung der Start-Up-Branche statt. Renditen wurden dadurch kalkulierbarer, was ein Ökosystem des Zuarbeitens ermöglichte. Die großen Techunternehmen (in diesem Sinne Value) haben sich ein spekulatives Element erhalten, das den von ihnen bestimmten Markt abschottete (hohe Markteintrittsbarrieren) und zugleich die Dynamik junger Unternehmen in der Entwicklung beibehielt.
Warum sollte man nach früheren Valuegesichtspunkten in Unternehmen investieren, die schlicht unterbewertet sind, wenn es zugleich Unternehmen mit starkem Wachstum in einem dynamischen Markt mit spekulativen aber domestizierten Elementen gibt? Nur weil man sie nicht veralteten Valuekriterien bewerten kann? Und würde der Kapitalmarkt dann nicht eher so funktionieren, dass er das eine (mit der höheren Rendite) dem anderen (mit der geringeren Rendite) bevorzugt?
Genau das. Deswegen sind klassische Valueinvestoren in den letzten Jahren gescheitert. Sie waren im übertragenen Sinne zu analog und haben sich nicht auf das veränderte Ökosystem eingestellt.
Es gibt immer ein ‚Aber‘.
Der Cloudbereich, der zur Grundlagenfunktion der digitalen Wirtschaftsbereiche mutierte, signalisiert erstmals Anzeichen eines direkten Konkurrenzkampfes. Also eines Kampfes um Marktanteile. Das würde ein Ende des haltlosen Wachstums bedeuten. Investitionen gehen dann immer häufiger in die Marktbetreuung, den Erhalt der Marktanteile, also in Preissenkungen und Technikaufrüstung. Das Ende eines Wachstums per Überrenditen.
Das ist kein Prozess, der explizit stattfindet, sondern sich in Gang setzt und anhält. Er veränderte die nun bestehenden Muster ebenso radikal, wie es die klassischen Valueinvestoren erlebt haben. Ein weiteres Zeichen hierfür ist das zunehmende Konkurrenzverhältnis der verschiedenen Techkonzerne untereinander. Man kann sich nicht mehr aus dem Weg gehen. Trotz unterschiedlicher Herkunft (Hardware, Verkauf, Werbung, Softwareprodukte), trifft man nun immer öfter aufeinander. Sinkende Renditen werden die Folge sein. Damit normalisiert sich vielleicht etwas, wenn man diesen Markt vom Ende her denkt. Die Ausnahmesituation bestand dann seit 2000.
Zugleich ist das Sentiment, für klassische Value Investitionen, mehr als schlecht. Was für Preise spricht, die unter ihrem Potenzial liegen. Man könnte den aktuellen Abgesang leicht als Chance begreifen.
Mikro197 von Vermögensabgabe bis Erdogan
Hannah hatte Gesprächsbedarf über die Idee einer Vermögensabgabe durch die Linke. Ausführlichst. Wir haben auch noch Erdogans streit mit Frankreich gesprochen. Kaum war die Folge im Kasten, rüttelte es im Personalgebälk der Türkei. Darüber sprechen wir dann in der nächsten Folge, die vielleicht noch heute erscheint.
Lesehinweise
- Oregon ist seit den 1970igern ein Kampfstaat zwischen der Rechten und ihren Gegenparts. Der Konflikt wurde im Zuge der BLM-Proteste im Sommer auch für Außenstehende sichtbar. Donald Trump tat sein Übriges.
- In unserer nächsten Buchbesprechung wird es im Kathrine Marcals „Machonomics“ gehen. Wer sich schon etwas vorbereiten möchte, für den oder die hat Barbara hier einen Lesehinweis. Das Buch fängt der Text nicht ein, ist aber inhaltlich sehr lesenswert.
- Belarus geht morgen in den 100. Tag seiner Proteste. Dabei ging es am Anfang gegen Wahlfälscher und Präsident Lukashenko und um Neuwahlen. Je länger die Proteste dauern, desto stärker verändern sich die Forderungen der Opposition und desto weitfächiger wird das Begehren. Eine Einordnung.
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