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MikroNews: Chaostage

Marco Herack
4 minuten gelesen
MikroNews: Chaostage

Unsere Buchbesprechung ist eines der fluideren Formate. Nicht jeder mag sie. Wir erklären nicht explizit ein Thema, sondern mäandern auch gerne mal rum oder schweifen ab. Die Themen sind auch nicht immer direkt zu erfassen, je nach Buch. Aber: Kapitalismuskritik geht immer.

Vor einiger Zeit haben wir begonnen ein Buch über 1931 zu lesen. Tobias Straubmann widmet sich dem Aufstieg Hitlers unter dem Gusto der Finanzkrise, die sich 1931 entfaltete. Nun würden wir nicht behaupten, dass Hitler in dem Buch eine große Rolle spielt. Tut er nicht. Was aber sehr präsent ist: Chaos und Handlungszwang.

Anhören: Buchbesprechung zu ‚Tobias Straubmann - 1931 Die Finanzkrise und Hitlers Aufstieg

Die Ausgangssituation ‚im Damals‘ ist eine andere als heute, doch die Art, wie die Regierung mit den Aufgaben umgeht, die vor ihr stehen, weist einige Parallelen auf. Die Regierung und ihr Handeln erzeugt Unmut, dieser Unmut drückt sich aus in Vertrauensentzug und die Regierung reagiert darauf chaotisch, nahezu panisch. In dieses Chaos hinein häufen sich dann die Hiobsbotschaften. Es gibt keine guten Lösungen mehr. Auswege fehlen. Wahlergebnisse erhöhen den Druck. Was damals ein misstrauisches Ausland war, das Deutschland zu wenig finanziellen Spielraum und Entlastung gewährte, ist heute Christian Lindner, der das Handeln der Regierung über seinen Schuldendogmatismus intensiv beschränkt.

Damals ging es den Menschen direkt ans Leder, heute schauen ‚wir‘ sehenden Auges dem Verfall der Infrastruktur des Landes zu. Diskutieren die sozialen Härten, die Menschen künftig erdulden sollen. Dabei ist das Chaos punktuell zu beobachten. Auf Bundesebene haben wir mit der Ampel beispielsweise eine Regierung, die sich selbst die größte Opposition ist und der die Bevölkerung entsprechend nicht vertraut.

Während in den ostdeutschen Bundesländern das Chaos durch Imagination entsteht. Der Glaube, aufgrund von Wahlumfragen die Inhalte einer AfD oder dem BSW nachplappern zu müssen, ist groß. In Sachsen ist Michael Kretschmer seit Jahren fleißig dabei sich an den russischen Präsidenten Vladimir Putin zu schmiegen. Seit der wiederum seinen Angriffskrieg gen Ukraine startete, will Kretschmer ständig verhandeln. Damit konterkariert er die Position der eigenen Partei. Bei den Landtagswahlen wiederum spielte dieses Thema eine untergeordnete Rolle. Um genau zu sein, war die Ukrainepolitik zu 7% für die Wahlentscheidung der Sachsen wichtig. Ähnlich relevant wie Klimaschutz.

Warum also hält Michael Kretschmer es für eine gute Idee, das Thema seiner Konkurrenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu halten? Relevant ist den Sachsen die Soziale Sicherheit (20%), die Zuwanderung (19%), Kriminalität und Sicherheit (18%) sowie die wirtschaftliche Entwicklung (16%). Bei Letzterem kann man der CDU zusprechen. Und ja, bei den zuvor genannten Themen hat die AfD es ideologisch leicht, ihre Themen zu verknüpfen.

Nur könnte man auch hier fragen, warum die Politik seit 2015 kein ‚Angebot‘ entwickelt hat, das sich kohärent darstellen lässt. Stattdessen lässt man sich von einzelnen Nachrichten treiben. Besonders unangenehm ist das alles für Olaf Scholz, der vor der Bundestagswahl ein Buch zum Reprint freigab, in dem er sich das Thema Flüchtlinge zu eigen machte. Es sei alles im Griff, man müsse nur noch Feinjustierungen vornehmen. Davon sieht man wenig. Stattdessen viele Symbole der Härte.

Dabei zeigt sich, dass das Thema ‚Flüchtlinge‘ auch deswegen so stark der AfD zuspielt, weil die Bundesregierung über die FDP, flankiert von der Union, selbst begonnen hat die soziale Frage mit den Hilfen für die Ukraine zu verknüpfen. Das Ergebnis ist, dass es keinen spürbaren ‚Respekt‘ und zusammengestrichene Ukraine-Hilfen gibt. Die Probleme werden größer statt kleiner.

Kretschmer und Lindner eint, dass sie ihre geäußerte Hauptkritik nicht etwa zur Verteidigung des eigenen Schaffens an die Opposition richten, sondern sie gehen auf die eigenen Koalitionspartner los. Die jeweilige Regierung erklärt ihren Bürgerinnen und Bürgern also, dass die Regierung ‚Mist’ ist. Kann man so einer Regierung trauen?

Schwerlich.

Die AfD lebt auch davon, dass die Regierungsparteien sie meiden wie die Pest, zugleich aber versuchen ihre Themen zu besetzen. Was dazu führt, dass es keine Auseinandersetzung mit der AfD gibt, sondern nur die Frage: Wie gehen die weg? Was kann man gegen die Typen tun? Anne Hähnig verstieg sich im Anne Will-Podcast gar zu der Aussage, dass man ja schon alles gegen die AfD versucht habe, nur nichts gegen sie half.

Mit Blick auf Schleswig-Holstein (4,4%), Nordrhein-Westfalen (5,4%), Rheinland-Pfalz (8,3%) oder Niedersachsen (11,0%) ist das eine sehr schwierige Aussage. Die Frage ist, was diese Bundesländer eint? Was ist dort anders? Und eine Antwort könnte lauten, dass man ihre Regierungen als verlässlich und unaufgeregt empfindet. All das gilt aktuell weder für den Bund noch für Sachsen oder Thüringen.

Daraus speist sich die Hoffnungslosigkeit der aktuellen Lage. Man kann sich schwer vorstellen, dass ein Friedrich Merz eine Koalition führt (mit Grün, Gelb oder Rot), in der es besser läuft als unter Olaf Scholz. Man mag sich nicht. Drohende Minderheitsregierungen in den Ländern werdend die Situation ebenfalls nicht verbessern.

Und dennoch ist es an der Zeit hier neu zu denken. Bei Politikerïnnen ebenso wie bei Medienvertreterïnnen. Denn so verführerisch es ist, nahezu alles unter dem Gusto des ‚Autoritarismus‘ oder der ‚Ampeldämmerung‘ zu analysieren, so wenig sollte man die notwendige Kärrnerarbeit in den Ländern unterschätzen und ignorieren. Der erwähnte Anne Will-Podcast war dahingehend symptomatisch. Es ging um die AfD, das BSW und wie andere auf diese Parteien reagieren oder mit ihnen umgehen. Es ging nicht um das, was die Politikerïnnen in Sachsen und Thüringen wollen. Es ging noch nicht einmal um das, was die Menschen in Sachsen oder Thüringen bewegt.

Es ist doch höchst sonderbar, wenn Wählerïnnen und Inhalte nicht mehr existieren.

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