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MikroNews: Risikofreie Währungsspekulationen mit Erdogan

Marco Herack
5 minuten gelesen

Das Jahr geht zu Ende und so finde ich dann doch noch etwas Zeit, den Newsletter nicht gänzlich untergehen zu lassen.

Sicher ist (leider), dass 2022 für mich nicht weniger anstrengend wird. Es stehen ein paar Veränderungen ins Haus. Beruflich, samt Umzug ins Ausland und natürlich wird man das im Podcast merken. Im Idealfall aber nur im ersten Halbjahr, denn da soll das alles vonstattengehen.

Zumindest bei mir ist es so, dass wenn sich das Leben verändert, ich auch immer das Bedürfnis habe, dieser Veränderung Ausdruck zu verleihen. Während der Zeit in Moskau ist der Foreign Times-Podcast entstanden. Mit dem Umzug nach Köln wurden auch die Mikroökonomen einen Tick anders, professioneller.

Dieses Mal habe ich beschlossen, dass es an der Zeit ist, der Foreign Times auch einen Newsletter zu spenden. Und zwar losgelöst von der eigenen Internetseite. Das ermöglicht mir 'Ghost' auszuprobieren, also mal was anderes als dieses unhandliche und nervige Wordpress.

Die Idee ist, dort meine Eindrücke von der für mich neuen Welt reinzuwerfen. Das könnte etwas persönlicher werden, erspart aber niemanden den grundsätzlich politischen Blick der Foreign Times.

www.auslandsbericht.de


Türkische Lira: Erdogan ante portas

Die letzte Folge des Jahres haben wir mittlerweile veröffentlicht. Ein Thema habe ich dabei nicht geschafft zu behandeln: Die türkische Lira.

Am 16.12.21 senkte die türkische Notenbank erneut die Zinsen. Von 15 auf 14%. Die offizielle Inflationsrate liegt derweil bei 21%. Die infoffizielle Inflationsrate wird bei bis zu 60% taxiert. Die Senkung der Zinsen trotz Inflation (oder auch steigender Inflation) gilt als Maßnahme des türkischen Präsidenten Erdogan. Die türkische Notenbank hat ihre politische Unabhängigkeit verloren.

Der Effekt ist vielfältig. Während der Export läuft, schießen gleichzeitig die Kosten für die (exportierenden) Unternehmen nach oben, da Produkte wie Faden und Stoffe, die in der Türkei für die Textilproduktion benötigt werden, in Dollar eingekauft werden müssen. Diese Dollar werden nicht selten geliehen und müssen dann auch in Dollar zurückgezahlt werden. Dieser Einkauf (mit oder ohne Kredit) wird mit jeder Währungsentwertung teurer. Zugleich lässt sich eine stark schwankende Währung wie die türkische Lira im Geschäftsleben aber nicht sinnvoll absichern, wenn ein Unternehmen überhaupt groß genug ist, um sich solcher Mittel zu bedienen. Im Notfall kaufen die Produzenten zu Marktpreisen und haben dann noch ihren Kredit als Risiko.

Schon bei der Textilindustrie sieht man, dass der normale Bürger in der Türkei einer sehr mittelbaren Inflation ausgesetz ist. Gleiches gilt für Kfz-Teile, Medikamente und importierte Lebensmittel. Wie tiefgreifend die Inflation in der Türkei in das Leben der Menschen eingreift, zeigt sich bei einem simplen Nahrungsmittel: Brot.

Die Preise für Weizen sind gestiegen. Wenn man diesen Effekt durch einen Wertverlust bei der Landeswährung potenziert, dann würde man theoretisch stetig steigende Preise in den Supermärkten und Bäckereien vermerken. Um das zu vermeiden, hat man in der Türkei die Preise festgesetzt. Damit die Bäckereien den Vorgang überleben, gibt es subventioniertes Mehl. Doch das muss man in Bar bezahlen und bekommt es nicht auf Kredit. Nicht jeder kann das in einer Situation steigender Preise leisten. Erst recht nicht, wenn der Konsum insgesamt zurückgeht.

Ein weiteres Element der türkischen Feinsteuerung kam am 16.12.21 hinzu. Nebst der Zinserhöhung soll auch der Mindestlohn erhöht werden. Von 2.825 auf 4.250 türkische Lira. Das sind ganze 50%.

Chaos

Doch als nun diese Maßnahmen verkündet wurden, stürzte die türkische Lira weiter ab.

  • Erhöhung des Mindestlohns? Das kann ja nur noch mehr Inflation bedeuten.
  • Weitere Zinssenkungen? Noch mehr Inflation.
  • Die Notenbank? Beschädigt.
  • Erdogan? König der Inflation.
  • Intervention der Notenbank am Devisenmarkt? Die Reserven sind doch eh negativ!
  • Wirtschaftlicher Aufschwung? Der Wert der Lira sinkt, also werden Unternehmen an ihren Dollarschulden insolvent gehen.

Schon im Vorfeld der Maßnahmen verlor die Lira seit Dienstag, den 14.12.21 (rund 15,50 Lira für den Euro) an Wert. Im Höhepunkt bekam man für den Euro ca. 20,72 Lira. Das war dann am Montag, den 20. Dezember.

Die Börse musste vom Handel ausgesetzt werden, weil die Kursverluste in Aktien so stark waren. Swapgeschäfte wurden ausgesetzt. Das Kapital suchte das Weite. Am Markt etablierten sich zu diesem Zeitpunkt zwei Ideen:

  • Man wird Kapitaltransferkontrollen benötigen. Wer jetzt nicht flieht, hängt fest.
  • Es droht ein Bankrun.

Warum macht Erdogan das?

Wird Erdogan nach der Idee hinter seinem Handeln gefragt, bekommt man wenig Konkretes zu hören. Er behauptet, dass seine Ideenlage an China angelehnt ist. In China wurden die ökonomischen Reformen der 1980er von einer Währungsabwertung begleitet. Allerdings war diese strikt gesteuert und vor allem stand dahinter eine Industriepolitik. Wie man nun im Nachgang sieht, eine sehr erfolgreiche Strategie. Derweil sieht man in der Türkei das genaue Gegenteil.. eine chaotische Währungsabwertung und keine erkennbare Industriepolitik. Das einzige klare Element in Erdogans Strategie ist, dass er türkische Drohnen an Staaten aller Art verkaufen möchte.

Es gibt Exporteure, die profitieren. Doch diese profitieren bei weitem nicht genug, als dass die inflationsbedingten Kosten für die türkischen Haushalte aufgefangen würden.

Eine weitere Begründung Erdogans ist, frei übersetzt, dass Zinsen unislamisch sind. Damit hat er zwar nicht unrecht, aber dann gibt es statt Zinsen eben Gebühren und das hat den gleichen Effekt. Der Grund ist sehr offensichtlich vorgeschoben.

Wir dürfen also raten und das Raten beschleunigt die Unsicherheit. Kritiker Erdogans vermuten, dass er mit der Strategie Wirtschaftswachstum erzeugen möchte, um die nächste Wahl zu gewinnen. Das funktioniert zwar, aber den Preis zahlen die Wähler. Im Regelfall ist das keine gute Strategie, um Wahlen zu gewinnen.

Eine wirklich befriedigende Antwort scheint es nicht zu geben. In jedem Fall ist es so, dass das Thema Leitzinssenkung ein öffentlich ausgefochtender Prozess war, bei dem Erdogan 'all-in' gegangen ist. Jetzt stellt er fest, dass 'die Märkte' nicht wie 'das Volk' zu handhaben sind.

Der Lösungsversuch

Das Handbuch ist eindeutig: Wenn die Inflation nicht durch Sondereffekte, wie Angebotsengpässe, ausgelöst wird, dann sind steigende Zinsen hilfreich. Es wird Kapital ins Land gelockt, das investiert. Die Währung stabilisiert sich, die Preise stabilisieren sich ebenfalls. Die Währungsreserven müssen nicht für Stützungsmaßnahmen aufgebraucht werden und das Bankensystem kann wieder Kredite an die Wirtschaft vergeben und den Export finanzieren. All das ist die Basis für eine wachsende Wirtschaft.

Erdogan wird diesen Weg mit der Türkei nicht gehen.

Stattdessen garantiert die türkische Notenbank den türkischen Bürgerïnnen künftig den Wert ihrer Einlagen entlang einer Dollarindexierung. Das heißt, wenn man 20% Zinsen von seiner Bank für türkische Lira-Einlagen bekommt, aber die Lira zum Dollar 30% verliert, dann gleicht die Notenbank die Differenz aus.

Ich finde das Konstrukt etwas sonderbar, denn es geht mit Laufzeiten über 3, 6 und 12 Monate für die Einlagen einher. Dann wird abgerechnet und die Zentralbank gleicht ggf. aus. In einer Wirtschaft, in der viele Menschen unter starkem Druck bzgl. ihrer Alltagsfinanzierung stehen, kümmert man sich nun explizit um die Einlagen derer, die sich grundsätzlich weniger Sorgen machen müssten. Aber gleichwohl schafft diese Gruppe als Erste ihr Geld ins Ausland. Jetzt soll sie ihr Geld zeitlich binden und dafür eine geringere Rendite erhalten als im Ausland, denn einen Dollarzinsausgleich gibt es nicht. Um fair zu sein: Diese Gruppe kann nun im Gegenzug völlig risikofrei auf Währungsgewinne spekulieren.

Das gebundene und abgesicherte Geld entlastet zweifelsohne das türkische Bankensystem, das mit seinen Währungsreserven nicht gerade gut gestellt ist. Es wird aber keines der wirtschaftlichen Fragezeichen beantwortet und ausländisches Geld wird durch weitere Zinssenkungen nicht angezogen. Wie die Alltagsinflation gestoppt werden soll, bleibt unklar.

Auf mich wirkt das Ganze so, als würde man gerade das türkische Bankensystem retten, in das man zuvor die Probleme der Notenbank externalisiert hat. Das aber wäre nur eine weitere Variante der sich ausweitenden Krise.

An 'den Märkten' hat man positiv reagiert. Die Lira steht aktuell bei rund 12,20 für den Euro.

Die letzten Podcast-Produktionen

Die Liste wäre zu lange, daher verlinke ich euch unser Reddit. Das ist in der Hinsicht vollständig, sprich alle Folgen die wir produzieren, landen da drin.

Unser Reddit.

Lesehinweise

  • Bücherleseliste 2021 - Mit Kommtar, Bildern und ggf. mit Verlinkung zur Buchbesprechung
  • Wer ist Experte und wofür steht er? Es ist kompliziert. Daher ist es immer wieder spannend, wenn sich mal jemand die Mühe macht und Dinge ausrecherchiert. Hier am Beispiel Quincy Institut, das ein paar sonderbare Positionen vertritt.
  • Wer schreibt, beschäftigt sich viel mit dem, wie und worauf er schreibt. Dieser New Yorker Artikel nimmt das Thema komplett ernst und ich fand mich da total verstanden.
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