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MikroNews - Ausgabe #28

Marco Herack
5 minuten gelesen

Nachdem Marco derzeit mit foreign times, Auslandsbericht und Schnitt und Produktion der Mikrooekonomen-Folgen schon mehr als vollauf beschäftigt ist, habe ich angeboten, hin und wieder dafür zu sorgen, dass MikroNews nicht ganz einschläft. Daher jetzt und hier: mein erster Newsletter.


Sachlage und Optionen in puncto Energieembargo

In den letzten Wochen wurde, zum Teil in heftigem Ton und nicht nur auf Twitter sondern sogar in Talkshows wild über ein mögliches Energieembargo diskutiert. Zur Frage inwiefern Deutschland sich das "leisten" kann - also konkret welche wirtschaftlichen Kosten auf uns zukämen und ob es vor dem Hintergrund eine gute Idee wäre besteht nach wie vor Uneinigkeit. Die vorliegenden Studien liefern klare Hinweise, dass es (erwartbar) wirtschaftliche Kosten gäbe, die Höhe dieser Kosten würde ich aber nach wie vor als umstritten einordnen. Die Schätzungen bzw. eher Prognosen reichen zwischen gut verschmerzbaren 0,3% des BIP bis zu (möglicherweise) mehr als 6% des BIP. Die Mehrheit der Modelle landet bei weniger katastrophalen Ergebnissen, wie der Sachverständigenrat jüngst zusammenfasste. Dabei sind die Modelle und Ansätze allerdings so unterschiedlich, dass ein Vergleich dieser Punkte m.E. zu kurz greift. Auch sollte man beachten, dass ein moderater gesamtwirtschaftlicher Effekt dennoch mit ganz erheblichen Schäden in einigen Industrien (insb. Chemie) einhergehen könnte und dass gerade im Bereich der Heizungen eine sofortige Substitution kaum möglich ist und daher mit stark steigenden Kosten auch für Privathaushalte gerechnet werden müsste. Es gilt hier also auch wohlüberlegte Priorisierungspläne zu machen und den Verbrauch von Gas sehr genau zu durchleuchten. Sicher hat die insgesamt raue Diskussion nicht unbedingt das beste Licht auf die Zunft der Ökonomen (sic!) geworfen, aber die Wogen glätten sich und es kristallisieren sich nun eine Reihe von versöhnlicheren und sachlicheren Diskussionsbeiträgen heraus. Puh. Denn Fakt ist, wie auch Rudi Bachmann, z.B. hier festhält, für den Moment muss die politische Entscheidung gegen zumindest ein Gasembargo als gegeben angenommen werden. Denn letztlich handelt es sich um ein politisches Abwägungsproblem und es kann durchaus politische Gründe für ein Embargo auch unter desaströs hohen Kosten geben. Allerdings scheinen die nach Einschätzung der Bundesregierung derzeit nicht vorzuliegen. Dass Marco und ich das anders sehen, streiften wir in der letzten Ausgabe des Podcasts, das soll hier heute gar nicht Thema sein, denn, wie gesagt, es ist ja nicht alles schwarz und weiß in Sachen Embargo. Auch wenn wir gegen ein Gasembargo entschieden haben, können wir einiges abseits von "Weiter so" tun. Ich möchte hier noch auf den Thread von Veronika Grimm zur politischen Abwägung und möglichen Folgen eines "Weiter so" hinweisen.

Auch hierzu gibt es schon eine Reihe Vorschläge, die dringend bald umgesetzt werden könnten, einerseits um uns auf mögliche (plötzliche) Einbrüche in den Energielieferungen vorzubereiten, aber natürlich auch, weil jeder Schritt hilft, potenziell Putins finanzielle Möglichkeiten einzuschränken und - entscheidender - die Entschiedenheit und Geschlossenheit Europas zu unterstreichen. Konkret liegen auf dem Tisch:

  • Ölembargo: Eigentlich ist die russische Wirtschaft von Öl abhängiger als von Gas, im russischen Export machte Öl in den letzten Jahren einen deutlich höheren Anteil aus:
Quelle: Atlas of Economic Complexity, https://atlas.cid.harvard.edu/countries/186/export-basket

Allerdings: Dies bezieht sich auf Daten von 2019, inzwischen haben die Gas-Einnahmen mit Öl gleichgezogen aufgrund des enorm gestiegenen Gas-Preises. Dennoch, Öl ist wichtig für die russische Leistungsbilanz und im Verhältnis unkomplizierter zu ersetzen. Für Deutschland machen russische Ölimporte zudem nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil aus. Das BWMK prognostiziert in einem internen Bericht, dass ein Ölembargo nur zu regionalen und vorübergehenden Lieferengpässen in Mittel- und Ostdeutschland führen würde (das hat mit der Raffinerie-Anbindung dort zu tun). Diese wären vermutlich durch Lieferungen aus anderen Regionen aufzufangen. In anderen europäischen Ländern sieht es da jedoch anders aus. Ein Ölembargo könnte auf Widerstand bei anderen Staaten stoßen. Es zeichnet sich aber m.E. bereits ab, dass ein Ölembargo der nächste Schritt bei den europäischen Sanktionen sein wird.

  • Exportbeschränkungen oder sogar komplettes Exportembargo (bis auf humanitäre Güter)

Bisher werden vor allem solche Güter nicht mehr nach Russland geliefert, die potenziell in Waffen verbaut werden konnten, darunter Halbleiter, Stahl, Eisen aber auch sog. Luxusgüter. Auch einige andere wichtige Vorprodukte stehen auf der Exportban-Liste. Allerdings könnte man die Exportbeschränkungen ausweiten. Dies hätte dann potenziell große Auswirkungen auf die russische Bevölkerung und es ist hier abzuwägen, welche Güter nötig sind um die humanitäre Situation in Russland nicht zu gefährden. Die bisherigen Exportbeschränkungen haben sehr konkret die kriegswichtige Industrie zum Ziel. Der Iran wird bspw. von den USA deutlich umfangreicher auch im Export sanktioniert. Hier wäre noch Spielraum, der potenziell natürlich Einnahmen kostet, allerdings zumindest aus deutscher Sicht nicht in desaströsem Ausmaß. Durch die Selbstsanktion vieler Unternehmen sind viel westliche Güter im Endverbraucherhandel in Russland bereits verschwunden. Die Frage ist jedoch, ob man z.B. durch die gezielte Beschränkung weiterer Vorprodukte der russischen Industrie spürbar schaden könnte.

  • Gas-Ausstieg vorbereiten und Energieimporte aus Russland bezollen

Da die Regierung sich bislang gegen ein Gasembargo ausspricht, dennoch aber die Abhängigkeit von russischen Energieimporten reduzieren will, wäre der nächste logische Schritt, Gas, Öl und Kohle aus Russland mit einem Strafzoll zu belegen, wie Tilman Eichstädt hier auch beschreibt. Ein Strafzoll auf russische Energie hätte mehrere wichtige und wünschenswerte Effekte: 1. Durch eine Verteuerung russischer Energieexporte würden die Alternativen (insb. LNG) konkurrenzfähiger. Der ohnehin bei Verknappung russischen Gases erwartbare Preiseffekt würde vorweggenommen und damit eine Anpassung der Nachfrage ausgelöst. 2. Ein Strafzoll wäre ein wichtiges politische Signal, dass Deutschland und die EU es ernst meinen mit dem Ausstieg aus russischer Energie. 3. Der Zoll ließe sich eskalativ nutzen, bei mehr Aggression oder fortdauernder Aggression durch Russland steigt der Zoll. 4. Russland müsste, da die Absatzpreise durch Verträge lang festgeschrieben sind, einen Teil des Zolls selbst tragen. Dies reduziert den Exporterlös für die russischen Kriegskasse. 5. Die Zolleinnahmen könnten direkt oder indirekt in einen Fonds zur Unterstützung und zum Wiederaufbau der Ukraine fließen.

Gleichzeitig sollte natürlich möglichst viel darauf hingearbeitet werden, sowohl alternative Lieferanten für Öl und Gas zu erschließen, mit denen evtl. sogar günstige Preise ausgehandelt werden könnten, wenn diese strategisch mit uns an einem Strang ziehen (Norwegen z.B.) und ein Plan zur Priorisierung getroffen werden, sollte das Gas im kommenden Winter knapp werden. Bspw. dass die Industrie priorisiert vor der Gas-Verstromung Zugriff auf Gas erhält. Durch einen schnellen Ausbau erneuerbarer Energien und ein Austauschprogramm für Heizungen könnte die Reduktion der Abhängigkeit von russischem Gas weiter unterstützt werden.

In diesem Artikel (faz.de, leider hinter Paywall) werden weitere marktbasierte Anreize diskutiert, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren. Hierbei bleibt allerdings die Frage des sozialen Ausgleichs etwas unterbelichtet - diese sollte auch bereits vorbereitend geplant werden. z.B. durch ein automatisch steigendes Energiegeld, zumindest für Hartz IV-/Wohngeld-/Rentenempfänger.

Es gilt also insg. aus der Schwarz-Weiß-Debatte auszusteigen und pragmatisch und schnell Schritte zu ergreifen, die tragbar und zielführend sind, um Entschlossenheit zu demonstrieren und aktiv auf mögliche Energieengpässe hin vorbereitet zu sein. Das Herumlavieren und insb. auch das vollständige Neutralisieren der Preiseffekte durch den Krieg führt sowohl in eine weitere Fortführung der Abhängigkeit von Russland als auch in klimaschädliche Verlangsamung der Reduktion fossiler Energie insgesamt. Denn dass Deutschland zu kritisch von Russland abhängt in Sachen Energieversorgung, bis hin zur russischen Kontrolle über die inländischen Gasspeicher, kommt zwar jetzt erst an die Öffentlichkeit, war aber im Grunde schon lange als Problem bekannt, wie Fatih Birol, Chef der IEA hier (Zeit.de, Exklusiv-Artikel) im Interview erklärt.

Dies soll es für's erste als Update zu den möglichen Energiemarktsanktionen sein. Wir werden sicher nach der Wahl in Frankreich hier wieder Bewegung sehen, das deutet sich in den letzten Tagen schon an.

Die Liste der Episoden seit dem letzten Newsletter wäre etwas lang. Seit Anfang März haben wir in allen Folgen über den Ukraine-Krieg gesprochen: Sanktionen I, Sanktionen II, das Auffangpaket der Bundesregierung und die Reaktion Russlands und die Auswirkungen der Umtauschverpflichtung auf den Rubel-Kurs sowie die anstehende Nahrungsmittelknappheit . Ich möchte euch außerdem die letzten Folgen der foreign times ans Herz legen, in denen Marco mit verschiedenen Gästen lang und ausführlich die strategischen Aspekte des Krieges beleuchtet hat.

Zum Abschluss soll noch ein bisschen Gesellschaftsteil nicht fehlen. Daher hier eine kleine Zusammenfassung der Putin-Probleme der deutschen Sozialdemokratie von extra3. Viel Spaß!

Hannah

P.S. Ich freue mich über eure Rückmeldungen und Themenwünsche an hannah@mikrooekonomen.de oder über Twitter und natürlich wenn Ihr diesen Newsletter teilt und verbreitet.

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